Es war der 29. August 2015, als Hannes Namberger den Karwendelmarsch von Scharnitz nach Pertisau bestritt – 52 Kilometer, knapp 2300 Höhenmeter, und rund fünf Stunden später war klar, dass sich der Sportler aus Oberbayern in eine neue Sportart verliebt hatte. „Mir hat es vom ersten Moment an getaugt, ich wusste, das ist mein Sport!“ Und dennoch war das Traillaufen nur ein Plan B. Denn Namberger war ein sehr guter Slalom- und Riesenslalom-Spezialist, schaffte es in den B-Kader des Deutschen Skiverbandes und schien auf dem Weg nach weiter oben zu sein, ehe er von Verletzungen zurück und aus der Bahn geworfen wurde.
Namberger ist ein Kind des Sports, der Natur und der Berge. Dort, wo er aufwächst, zelebriert der Biathlon-Weltcup alljährlich eine seiner größten und wichtigsten Partys. In Ruhpolding im Alpenvorland sind gleich vier Berge seine Hausberge, und er kennt alle ihre Wege und Pfade auswendig. Und dennoch ist der Wechsel von einer Schnellkraftsportart wie Ski Alpin zu einer reinen Ausdauersportart wie Trailrunning beachtenswert. Namberger verfügt über die richtigen körperlichen Anlagen, aber vor allem über den Willen, sich verbessern zu wollen. Leidensfähigkeit zu beweisen, Zähne zusammenbeißen zu können, sich auf Höhen und Tiefen während eines Laufs einlassen zu wollen, über die Grenze der Belastbarkeit zu gehen machen den Deutschen zu dem, was er heute ist – einer der weltbesten Trailrunner.
„Ich war schon einmal bei einer WM dabei, 2018 kam ich in Polen auf Platz 24, doch das Rennen war mit 36 km und 2110 Hm eher kurz. Überzeugt bin ich, dass Titelkämpfe unserem Sport guttun, Profil zu gewinnen und ihre Protagonisten und Protagonistinnen einer breiteren Masse zugänglich zu machen.“
Seine Stärke ist statistisch belegt. Im Ranking der International Trail Running Association (ITRA) liegt Hannes Namberger (Stand 22.11.) mit 926 Punkten gerade mal 25 Zähler hinter dem Führenden Kilian Jornet auf Platz sechs (doch kleine Rückstände im Spitzenfeld sind bekanntermaßen am schwierigsten aufzuholen). Insgesamt sind 2,3 Millionen Läufer bei der ITRA erfasst.
Die ITRA ist eine der veranstaltenden internationalen Verbände, die federführend sind bei den World Mountain and Trail Running Championships 2023 Innsbruck-Stubai. Es ist dies eine Veranstaltung, die der Dynafit-Athlet nicht verpassen will. „Bereits für die WM in Chiang Mai im November 2022 war ich qualifiziert und auf dem Weg zum Flughafen, doch schwerwiegende private Umstände führten zu einem Verzicht. Nun brenne ich mehr denn je darauf, in Tirol dabei zu sein und bei diesen Titelkämpfen hoffentlich eine Hauptrolle spielen zu können.“
Dass er auch abseits seines absurd hohen ITRA-Rankings alle Legitimationen dazu mitbringt, steht außer Frage. Als pünktlich, ehrlich, ehrgeizig, korrekt bezeichnet er sich, als einer, der seinen Zielen alles unterordnet und seine Tage über Monate voraus durchplant, weil er jede Minute seiner Zeit perfekt ausnutzen will. „Kino- und Wirtshausbesuche sind ohnehin nicht so meines“, sagt er selbst, verweist aber gerne darauf, dass er sehr bewusst, mit viel Bio, qualitativ und regional isst und sich seine Essen selbst zubereitet: „Dann weiß ich, was in meiner Nahrung enthalten ist. Fastfood und Fertigprodukte sind No-Gos für mich. Und was Fleisch angeht: möglichst wenig, vielleicht alle zwei, drei Wochen einmal.“
Er trainiert, isst und lebt wie ein Profi und ist dennoch nicht abhängig von Sponsoren- oder Preisgeldern (sofern es letztere überhaupt gibt). Namberger hat einen Job bei der Bundespolizei an der Grenzstelle Walserberg bei Salzburg, 12-Stunden-Schichten im Büro sind nicht die Regel, aber auch keine Seltenheit. Das Wissen, nicht zur Gänze auf den Sport und den damit zusammenhängenden Einnahmen angewiesen zu sein, bringt Lockerheit in Nambergers Leben. „Wenn Zwang da ist, dann geht die Liebe zum Gegenstand verloren“, sagt er.
Die Liebe zur WM in Innsbruck-Stubai ist ungebrochen und wächst Tag für Tag. Von Ruhpolding nach Neustift sind es 175 Kilometer – zu viele, um mal schnell eine Streckenbesichtigung durchzuführen, aber wenig genug, um doch einen Heimvorteil in Anspruch zu nehmen. „Vielleicht übersiedle ich im Mai für einen Monat in das WM-Gebiet“, antizipiert Hannes Namberger seine Pläne. „Denn eines ist klar, im Juni will ich dort schon aufzeigen wollen, was in mir steckt.“
Fotos: © DYNAFIT; Hendrik Aufm’Kolk; Christian Penning
Kurz-Steckbrief
Hannes Namberger (Deutschland) geboren am 16.5.1989 in Traunstein, wohnhaft in Ruhpolding, Mitglied des Dynafit Squad. Erfolge (Auswahl): 2018: Erster GGUT75, Erster Transalpine Run; 2019: Erster Mayrhofen Ultraks; 2020: Erster PAGT105, 2021: Erster Lavaredo Ultra Trail; Sechster UTMB; Erster MIUT115; 2022: Erster Penyagolosa Trails, Erster Lavaredo Ultra Trail, Erster Ultra Trail Cape Town